3. Kapitel

 

Lea blickte stirnrunzelnd zu den hell erleuchteten Fenstern des Georgianischen Anwesens hinauf. Doch dann entdeckte sie das mit schwarzem Papier verklebte Fenster. Also doch die richtige Adresse. Sie rückte ihre lange schwarze Perücke zurecht und zupfte nervös an den vielen Ketten, die sie über ihrem weiten, viel zu großen schwarzen Kleid anhatte.

»Liam?«, flüsterte sie.

»Zur Stelle«, antwortete der junge irische Geist fröhlich.

Er schien direkt neben ihr zu stehen. »Ziemlich schicke Hütte. Glaubst du wirklich, dass es da spukt?«

Lea wusste genau, was er meinte. Beim letzten Mal, als sie in ein ähnlich schönes Anwesen gerufen worden waren, hatte sich das Ganze als Jux herausgestellt. Die reiche Besitzerin hatte ihren ebenso reichen Freunden eine Show bieten wollen. Aber Lea war, trotz ihrer pittoresken Aufmachung, keine Betrügerin. Sie wollte nur den Seelen helfen, die hier hängen geblieben waren, ins Licht zu finden.

»Ich weiß nicht«, sagte sie zögernd, »aber das werden wir ja gleich rausfinden, nicht?« Sie schwieg einen Moment.

»Wie sehe ich aus?«

Liam seufzte. »Du weißt, wie ich es hasse, dich zu kränken, aber musst du dich unbedingt als alte Hexe verkleiden?«

Lea ging lachend die Eingangsstufen hinauf und drückte auf die Klingel über dem kleinen Schild mit dem Namen Bilen. Liam wusste ganz genau, warum sie sich in einen alten schwarzen Umhang hüllte, ihr hübsches Gesicht mit grauem Make-up zukleisterte und eine kratzige Perücke aufsetzte. Die Leute erwarteten das einfach. Es passte in das Bild, das sie sich von Menschen machten, die mit übersinnlichen Phänomenen zu tun hatten. So seltsam es auch war, diese lächerliche Aufmachung verlieh ihr Glaubwürdigkeit und Autorität. Und die brauchte sie, wenn sie den Seelen helfen wollte.

»Ja?«

Lea erkannte die Stimme - es war die Dame, mit der sie telefoniert hatte.

»Mrs. Bilen? Ich bin Madame Foulard.«

Der falsche Name kam ihr mühelos über die Lippen.

Sie benutzte zwar keinen ebenso falschen französischen Akzent, erzählte der Kundschaft aber immer, ihre französischen Eltern seien bei einem Urlaub in Edinburgh ums Leben gekommen. Sie sei dann bei einer amerikanischen Tante aufgewachsen und nach Schottland gekommen, um die Geister ihrer toten Eltern zu suchen. Und so war aus ihr Madame Foulard, das Medium geworden.

»Ich komme sofort!«, drang die Stimme der Frau aus der Gegensprechanlage.

»Klingt nett«, bemerkte Liam. Kurz darauf stieß er einen anerkennenden Pfiff aus. »Sie kommt grade die Treppe runter. Mann! Die ist ein richtiger Hingucker!«

Lea verdrehte die Augen. Sicher hatte Liam mal wieder den Kopf durch die Eingangstüre gesteckt. »Still jetzt.«

»Wieso denn? Sie kann mich doch sowieso nicht hören«, brummte Liam.

Das stimmte natürlich, aber er sollte ja auch nicht wegen Mrs. Bilen still sein. Lea war seltsam nervös, und es kam gelegentlich vor, dass sie vergaß, vor anderen Leuten nicht auf Liams freche Bemerkungen zu antworten. Sie umkrallte den Christbaumschmuck, mit dem sie sich aufgetakelt hatte, und verdrehte die zahlreichen Ketten.

»Was ist?«, fragte Liam mit leiser Überraschung in der Stimme. Er musste bemerkt haben, wie nervös sie war, aber Lea wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie war normalerweise nie nervös bei diesen Seancen. Aber heute empfand sie eine unerklärliche Spannung, eine Art Vorahnung ... Ihr Magen zog sich zusammen. Was ist bloß los mit mir?, fragte sie sich alarmiert.

Bevor sie noch weiter darüber nachdenken konnte, flog die Türe auf.

»Bitte entschuldigen Sie, Madame Foulard, dass ich Sie so lange draußen in der Kälte habe stehen lassen!«

Mrs. Bilen bat sie mit einer anmutigen Geste herein. Die Frau war tatsächlich ein »Hingucker«, wie Liam sich ausgedrückt hatte, fand Lea. Und sie hatte glücklicherweise keinerlei Ähnlichkeit mit den gelangweilten Society-Matronen, von denen sie so oft gerufen wurde. Leas Magen entkrampfte sich ein wenig.

»Das macht doch nichts, Mrs. Bilen. Schön, dass wir uns endlich sehen.«

»Ach, bitte nennen Sie mich Victoria!«, meinte ihr Gegenüber lächelnd.

Lea nickte und schaute sich im Foyer um. Rechts und links führten zwei breite Flügeltüren aus dunklem Eichenholz zu den Räumen im Erdgeschoss. Gegenüber schwang sich eine eindrucksvolle Treppe in die oberen Geschosse hinauf. Von der hohen Decke hing ein kostbarer Kronleuchter. Der Boden war mit lachsfarbenen Marmorfliesen ausgelegt, die sicher aus Italien stammten.

»Wie gesagt, tolle Hütte«, bemerkte Liam direkt neben ihrem Ohr. Lea zuckte unwillkürlich zusammen, hatte sich aber sogleich wieder im Griff.

»Victoria, haben Sie einen Tisch für mich vorbereitet?«, fragte sie. Sie hoffte, sich einen Moment hinsetzen zu können, bevor sie begann. Ihre Nerven flatterten noch immer.

Victoria bedeutete ihr zu folgen. »Selbstverständlich! Es ist oben, im ersten Stock. Ich habe alles genau so gemacht, wie Sie gesagt haben. Den Wein habe ich auch schon aufgemacht.«

Lea nickte nur. Sie hatte festgestellt, dass es am besten war, so wenig wie möglich zu sagen und nur in kurzen, knappen Sätzen zu sprechen. Das war überzeugender. Die Fantasie der Leute tat dann den Rest und nahm ihr die Arbeit ab. Jeder hatte so seine Vorstellungen über Geister und Geisterseher.

»Es sind noch drei im Haus«, sagte Liam ihr ins Ohr, während sie die Treppe hinaufgingen.

»Was? Drei?«, flüsterte Lea erschrocken.

Es gab jede Menge Geister in Edinburgh - immerhin war dies die Stadt der Toten. Aber gleich drei davon in einem Haus? So etwas hatte sie noch nie erlebt. Waren hier drei Leute gestorben, ohne ihre weltlichen Angelegenheiten in Ordnung bringen zu können? Natürlich kam es vor, dass Geister sich an Menschen hängten, es konnte daher sein, dass einer davon mit Mrs. Bilen eingezogen war, aber zwei andere, die bereits da gewesen waren? Das konnte sich Lea kaum vorstellen.

»Nein, keine Geister, Lebende«, stellte Liam klar. »Zwei Männer und noch eine Blondine. Auch so ein Hingucker.

Sie und Victoria sehen sich ähnlich, aber die andere hat längere Beine, und ...«

»Das reicht!«, zischte Lea.

Victoria drehte sich auf der Treppe um. »Haben Sie etwas gesagt, Madame Foulard?«

»Ich fragte mich nur gerade, wer wohl die anderen drei sind? Die beiden Männer und die Frau? Ich hatte doch gesagt, es wäre mir lieber, wenn wir unter uns wären?«

Lea gab sich alle Mühe, sich nicht unter ihrer Perücke zu kratzen. Gott, wie das Ding juckte! Sie musste sich unbedingt eine neue zulegen.

Victoria starrte sie erstaunt an, dann schaute sie unwillkürlich nach oben, zum Kopf der Treppe, um zu sehen, ob die anderen dort standen. Was nicht der Fall war.

»Woher wissen Sie das?«

Lea unterdrückte ein Lächeln. Der fassungslose Ausdruck auf Victorias Gesicht verriet ihr, dass hier jemand begann, sie ernst zu nehmen. Gut, falls es hier tatsächlich spukte. Dann konnte Victoria ihr vielleicht bei ihrer Arbeit helfen.

»Verzeihen Sie, aber ich dachte, es würde nichts ausmachen, wenn noch ein paar mehr da wären«, entschuldigte sich Victoria. »Aber falls das für Sie ein Problem sein sollte, kann ich natürlich...«

»Nein, nein, das geht schon.« Sie waren inzwischen oben angekommen. »Solange es nicht so viele sind, dass ich mich nicht mehr konzentrieren kann.«

»Soll ich jetzt gehen und mal nachsehen, was hier so rumspukt?«, fragte Liam lachend.

»Was ist so lustig?«, flüsterte Lea. Sie folgte ihrer Gastgeberin durch einen dunklen Korridor.

»Na, dieses Gewäsch von wegen sich konzentrieren. Als ob du mich oder die anderen Geister nicht sowieso hören könntest. Wahrscheinlich sind eher wir es, die dich davon abhalten, dich auf die Lebenden zu konzentrieren.«

»Das reicht, Liam!«, zischte Lea. »Ja, zieh los und schau dich um, okay?«

»Okeydokey.«

Er verschwand. Das hoffte Lea zumindest.

»So, da wären wir.«

Victoria öffnete eine Türe und führte Lea in ein Speisezimmer. Tatsächlich hatte sie hier alles so hergerichtet, wie Lea es ihr aufgetragen hatte. Am entfernten Ende des langen Tisches saßen zwei Leute. Eine blonde Frau mit aufwändig gelocktem blondem Engelshaar. Sie war stark geschminkt und trug ein eng anliegendes schwarzes Schlauchkleid; tatsächlich sah sie aus wie Draculas Braut, fand Lea. Fehlten bloß noch die künstlichen Fangzähne und der malerische Blutstropfen am Mundwinkel. Die junge Frau musterte Lea hochmütig.

Der Mann dagegen war ein ganz anderes Kaliber.

Dass er sie für eine Betrügerin hielt, war offensichtlich. Und dass er nichts von »Geisterbeschwörungen« und Geisteraustreibungen« hielt, ebenso. Aber eins musste man dem Mann lassen, er sah umwerfend gut aus: dunkler Teint, männlich-kantige Gesichtszüge, traumhafte Augen. Sicher hatte er schon viele Frauenherzen gebrochen.

»Madame Foulard, das ist meine Schwester Grace, und das hier ist mein Mann Cem«, stellte Victoria ihr die beiden vor.

Sie zog den Stuhl am Kopfende für Lea zurück, und diese nahm zwischen den beiden Platz, nachdem sie ihnen zugenickt hatte. Lea zog ihren Umhang enger zusammen und bemerkte dabei, wie Grace angeekelt die Nase rümpfte und den Blick abwandte. Gut. Das war so beabsichtigt.

Genau aus diesem Grunde stank ihre Kleidung: damit die Leute den Blick von ihr ab wandten.

»Sagen Sie, Madame Foulard, von wo genau aus Frankreich stammen Sie?«, fragte Cem, während seine Frau an seiner Seite Platz nahm.

Aha, der Hausherr hatte sich also nicht von ihrem Namen überzeugen lassen und wollte sie entlarven? Nun, das überraschte sie nicht.

»Ich wurde zwar in Paris geboren, Mr. Bilen, bin aber nicht in Frankreich aufgewachsen. Ich war noch sehr jung, als meine Eltern starben. Danach lebte ich in Boston, bei einer Schwester meiner Mutter.«

Das klang kurz und ehrlich - sie hatte es lange genug geübt. Lea konnte sehen, dass der Mann noch immer nicht ganz überzeugt war, aber das spielte jetzt keine Rolle. Sie beschloss, das Heft in die Hand zu nehmen.

»Aber es geht hier nicht um mich. Mrs. Bilen, ich meine, Victoria, was hat Sie auf den Gedanken gebracht, dass es hier Geister gibt?«

»Nun ja, ich bin nicht sicher, ob es wirklich Geister sind ...«

Victoria wurde knallrot, was Lea sogar im gedämpften Licht der Kerzen sehen konnte. Ungewöhnlich. Höchst ungewöhnlich. Ihrer Erfahrung nach konnten es die Leute kaum abwarten, ihr all das Seltsame zu erzählen, das sich in ihrem Haus abspielte - unheimliche Laute, Türen, die sich von selbst öffneten und schlössen ... aber dieser Frau schien das Ganze peinlich zu sein. Was ging hier vor?

Schämte sie sich vor ihrem Mann? Fürchtete sie seinen Spott? Lea wusste zwar nicht genau, warum, aber sie bezweifelte es.

»Aha. Ich verstehe Ihre Reaktion,-Victoria. Aber da Sie mich hergebeten haben, muss Ihnen doch irgendwas Ungewöhnliches aufgefallen sein? Etwas, das Sie davon überzeugt hat, dass es hier spukt?«

Victoria senkte kurz ihren Blick und schaute dann zu ihrer Schwester hin, die mit gerümpfter Nase im rechten Winkel neben Lea saß.

»Ich kann Ihnen sagen, was hier vorgeht«, meldete diese sich temperamentvoll zu Wort, »ich lebe schließlich auch hier.«

Sie senkte theatralisch die Stimme. Mit ihren blutrot geschminkten Lippen fuhr sie fort: »Da wären zunächst mal die Türen. Sie gehen immer wieder von selbst auf und zu%«

»Aha«, wiederholte Lea. Das Öffnen und Schließen von Türen war eine Beschäftigung, der nur Film-Geister nachgingen. Echte Geister hatten gar keinen Grund, eine Türe zu öffnen - sie konnten ja durchschweben. Außerdem erforderte es eine ganze Menge Übung und Konzentration für einen Geist, einen Gegenstand zu bewegen. Im Allgemeinen versuchten Geister zu den Lebenden Kontakt aufzunehmen, indem sie sie berührten. Nur sehr wenige Geister konnten Gegenstände bewegen oder ihre Berührung - außer durch Kälte - tatsächlich fühlbar machen.

»Sonst noch etwas?«

»Mja, schon«, sagte Grace gedehnt und wickelte sich eine dicke blonde Locke, die ihr über die Brust fiel, um den Finger. »Ich habe einmal in der Nacht ein Brausen gehört, wie von einem starken Wind, aber als ich nachschauen ging, waren alle Fenster geschlossen.«

Lea runzelte die Stirn. Irgendetwas stimmte da nicht. Es war Graces Tonfall. Sie log; Lea war sich ganz sicher.

»Möchten Sie dem noch etwas hinzufügen?«, fragte sie Victoria.

»Nein.« Mrs. Bilen schüttelte verlegen den Kopf.

Aha, nun wurde die Sache schon klarer. Victoria glaubte nicht, dass es hier spukte; ihre Schwester war es, die auf dieser Einladung bestanden hatte. Aber warum log sie? War sie auf einen Nervenkitzel aus? Wollte sie ihren Freundinnen erzählen können, sie habe an einer echten Geisterbeschwörung teilgenommen? Und wo zum Teufel steckte Liam?

»Wollen Sie den ganzen Abend hier rumsitzen und Fragen stellen, oder fangen Sie jetzt endlich an, mit den Geistern zu reden?«, fragte Grace, während sie ihre rotlackierten Fingernägel studierte.

Lea, in der es allmählich zu brodeln begann, wollte gerade aufstehen und verkünden, dass es für sie hier nichts zu tun gab, als plötzlich jemand hinter ihr sprach.

»Verzeihung, ich habe mich verspätet.« Die Stimme des Mannes, der nun das Speisezimmer betreten hatte, ließ Lea erstarren.

Adam setzte sich neben Grace, die ihn mit klimpernden Wimpern begrüßte, wie schon zuvor, als sie einander vorgestellt worden waren. Unglücklicherweise hatte er nicht das geringste Interesse an der blonden Schönheit. Oder glücklicherweise. Cem wäre sicher nicht begeistert gewesen, wenn er etwas mit seiner Schwägerin angefangen hätte.

Madame Foulard dagegen war etwas ganz anderes; diese Dame war höchst interessant. Zunächst mal war da diese scheußliche schwarze Perücke, die auch noch ein klein wenig schief auf ihrem Kopf saß. Und dann diese graue Schminke ... wieso gab sie sich solche Mühe, wie eine alte Schachtel auszusehen und wie eine Mülltonne zu riechen?

Aber etwas gab es, das sie nicht unter ihren weiten Fetzen und der gräulichen Schminke verstecken konnte: ihre herrlichen, hellgrünen Augen - das hellste Grün, das er je gesehen hatte. Trotzdem hatte er das komische Gefühl, sie zu kennen.

Aber eine Frau, die sich so anzog wie sie, hätte er doch bestimmt nicht vergessen, oder? Adam musterte sie schweigend. Was hatte sie vor? Auch ihre Gestik war die einer weit jüngeren Frau, ihre Hände waren zu glatt, und auch die Falten in ihrem Gesicht wirkten unecht, wie aufgemalt ... er hätte ihr gerne noch einmal in die Augen gesehen, vielleicht wäre ihm dann eingefallen, wo er ihr schon einmal begegnet war, aber sie mied seinen Blick. Seltsam.

»Madame Foulard, dies ist Adam, ein guter Freund meines Mannes«, erklärte Victoria.

»Freut mich, Madame Foulard«, bemerkte Adam lächelnd. Sie nickte, sagte aber nichts.

»Also, was ist jetzt mit den Geistern?«, fragte Grace ungeduldig.

Adam lehnte sich zurück und beobachtete die anderen. Victoria wirkte verlegen, auf Cems Stirn brauten sich dunkle Wolken zusammen, Madame Foulard dagegen schien immun gegen Graces Sticheleien zu sein. Sie hob eine schmale Braue und neigte den Kopf ein wenig zur Seite, als würde ihr jemand etwas ins Ohr flüstern.

Cem hatte ihm von vorneherein eingeschärft, dass es, was Victorias Familie betraf, keine Gedankenleserei geben durfte - aber in Madame Foulards Kopf konnte er doch wohl einen kleinen Blick werfen, oder? Adam atmete ein und konzentrierte sich.

Nichts.

Was zum Teufel?! Er versuchte es noch einmal, mit mehr Kraft, traf jedoch auf einen dicken Wall. So etwas war ihm noch nie passiert! Er versuchte es mit Gewalt - und brach durch. Er hörte Stimmen; mehrere Stimmen, allerdings verwaschen, frustrierend in ihrer Unverständlichkeit.

Madame Foulard hob die Hände an die Schläfen und runzelte die Stirn. Er war zu weit gegangen. Jetzt hatte sie Kopfschmerzen. Er hatte kein Recht, derart in sie einzudringen, und schon gar nicht, ihr Schmerzen zuzufügen.

Neugier war keine Entschuldigung dafür. Adam zog sich sogleich zurück.

»Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Madame Foulard?«, erkundigte sich Victoria voller Sorge.

»Ja, ja, selbstverständlich. Aber ich muss Ihnen leider mitteilen, Mrs. Bilen, dass es in Ihrem Haus keine Geister gibt.«

Adams Überraschung spiegelte sich auf Cems Gesicht.

Grace sah aus, als würde sie jeden Moment explodieren.

»Woher wollen Sie das wissen?«, fauchte sie, sprang auf und wies anklagend mit dem Finger auf Lea. »Sie kommen hier rein, stellen dumme Fragen, und dann behaupten Sie, es ist nichts! Sie sind eine Lügnerin und Betrügerin!«

Adam ließ Madame Foulard nicht aus den Augen. Wie würde sie darauf reagieren? Ihre Nasenflügel bebten, ihre Augen verengten sich, und sie presste ihre vollen, bleich geschminkten Lippen grimmig zusammen.

»Das reicht!« Sie stand auf und zog ihren Umhang enger um die Schultern. »Mrs. Bilen, Sie glauben nicht, dass es hier spukt, oder?«

Victoria schüttelte mit hochroten Wangen den Kopf.

Cem, der ihr Unbehagen spürte, legte schützend den Arm um sie. Madame Foulard nickte majestätisch. Dass sie die Rolle einer gebeugten Alten spielen sollte, schien sie für den Moment vergessen zu haben, wie Adam bemerkte.

»Und Ihr Mann hat das sowieso nie geglaubt. Ich frage mich daher, warum Sie, Miss Grace, mich unbedingt hier haben wollten? Denn das, was Sie mir erzählt haben, ist gelogen.«

Grace sah einen Moment lang aus wie ein Kind, das mit der Hand in der Keksdose ertappt worden ist. Vielleicht hat sie ja wenigstens jetzt den Mumm, die Wahrheit zu sagen, dachte Adam, aber damit war wohl kaum zu rechnen.

»Sie sind die Lügnerin, Madame!«, kreischte Grace.

»Das reicht, Grace!«, donnerte Cem.

Er würde nicht zulassen, dass seine Schwägerin sich noch mehr blamierte und seine Frau weiter in Verlegenheit brachte.

»Ich muss mich für meine Schwägerin entschuldigen.

Es tut mir leid, dass wir Sie unnötig hierhergeholt haben.

Natürlich werden wir Sie für Ihre Mühen entschädigen.«

»Das ist nicht nötig. Ich verlange nichts für das, was ich tue«, erklärte Madame Foulard. Ihr Zorn schien ebenso schnell zu verrauchen, wie er aufgeflammt war, und auf einmal erinnerte sie sich wieder an ihre Rolle. Sie ließ die Schultern hängen und krümmte den Rücken.

»Ich selbst muss mich für meine harten Worte entschuldigen.« Sie schaute Victoria an. »Wir alle haben unsere Gründe, warum wir von Zeit zu Zeit nicht die Wahrheit sagen.«

Die beiden Frauen wechselten einen stummen Blick, dann wandte sich Madame Foulard ab und verließ das Zimmer.

»Blöde alte Schachtel«, schimpfte Grace und ließ sich wieder auf ihren Stuhl fallen. »Die hat doch nicht alle Tassen im Schrank!«

Victoria beachtete ihre Schwester nicht und wandte sich stattdessen an ihren Mann. »Cem, ich habe ein furchtbar schlechtes Gewissen. Sollten wir ihr nicht wenigstens ein Taxi bezahlen?«

»Ich werde unsere Geisterjägerin selbst heimbringen«, sagte Adam zu seiner eigenen Überraschung.

Unsterblich 04 - Unsterblich wie der Morgen
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